Ukraine Konflikt

Ukraine Konflikt

Wie Eltern mit Kindern über den Krieg reden können? Familientherapeutin Tanja Hurtmann gibt im Interview Tipps und Hinweise.

Mit Kindern über den (Ukraine) Krieg reden (c) canva

Rückblick: 1990
Ich bin 9 Jahre alt, irgendwo habe ich aufgeschnappt das ein Krieg beginnt, dass Panzer rollen und geschossen wird. Ich weiß nicht was das heißt, ich weiß nicht was es bedeutet – aber ich habe Angst, Angst davor dass auch auf unsere gerade wiedervereinte Stadt geschossen wird. Da ich ein typisches Schlüsselkind und normalerweise am Nachmittag alleine bin, lade ich mich selbst zu meiner besten Freundin ein. Ich möchte nicht alleine sein, ich habe das Gefühl es ist besser wir sind zusammen, wenn die Panzer auch zu uns kommen…

Heute: 2022
Jonas hat in Opas Küchenradio etwas vom Krieg in der Ukraine gehört, am Abend weint er und fragt seine Mama: „Was müssen wir denn jetzt machen? Sind wir hier sicher?“.
Auch am nächsten Morgen sind seine ersten Gedanken und Worte: „Es ist so fürchterlich, dass wir jetzt Krieg haben“.

Zwei ähnliche Situationen, einmal als Kind und einmal als Mutter erlebt.
Vielen Eltern geht es aktuell genauso, sie sind selbst verunsichert und fragen sich ob und wie sie mit ihren Kindern darüber sprechen können. 

Forums Referentin und Familientherapeutin Tanja Hurtmann beantwortet uns im Interview die Fragen die sich derzeit (mal wieder) viele Eltern stellen.

Wie können wir als Eltern in diesen Tagen – wo das Thema Krieg auch medial so präsent ist – aber auch generell mit solchen Situationen umgehen?

Sollten wir generell oder gerade jetzt mit den Kindern Nachrichten schauen?

Eltern sollten die Kinder auf keinen Fall „ungefiltert“ dem medialen Wahnsinn aussetzen. Nehmen sie selbst die Sozialen Medien kritisch unter die Lupe.
Kinder sollten mit den Nachrichten niemals allein gelassen werden. Achten Sie darauf, wann welche Medien an und für die Kinder zugängig sind oder auch auf mithörende Kinder, wenn Sie sich im Erwachsenenkreis austauschen.

Es gibt eine Initiative die heißt „Schau hin! Was Dein Kind mit Medien macht“, diese rät Eltern zu kindgerechten Formaten, um Ihre Kinder so über die Ereignisse aufzuklären, beispielsweise bei „logo!“, „neuneinhalb“ oder im Kinderradio „KiRaKa“. Dort werden die Angriffe auf die Ukraine kindgerecht und in einfachen Worten erläutern. Sie sollten gemeinsam mit den Kindern geschaut werden. Gehen Sie anschließend mit Ihren Kindern ins Gespräch, ob noch Fragen offen sind oder lassen Sich die Situation von den Kindern wiedergeben. So wird deutlich, ob etwas missverstanden wurde.

Gibt es Empfehlungen zu verschiedenen Altersstufen?

Es kommt natürlich immer auf das Alter des Kindes an, aber auch auf die Einschätzung der Eltern zum Entwicklungsstand und zur Sensibilität des Kindes.

Kleinkinder und Vorschulkinder befinden sich oft im Zirkel zwischen Fantasiewelt und Realität. Sie zeigen bei solchen Nachrichten Ängste, die sich auch körperlich und verbal äußern können. Als Eltern können wir Sicherheit und Geborgenheit bieten und ihnen mitteilen, dass wir als Eltern alles dafür tun, um sie zu schützen. Nehmen Sie die Sorgen der Kinder ernst und versuchen ihnen ihre Ängste zu nehmen.

Mit Schulkindern kann man schon etwas offener darüber sprechen. Generell sollten Kinder nicht angelogen werden, sie haben ein gutes Gespür dafür, wenn etwas nicht stimmt oder die Eltern in großer Sorge sind. Dennoch ist es wichtig, dass Kinder Antworten erhalten. Gehen Sie daher offen mit der aktuellen Situation um. Schauen sie zum Beispiel, wie oben angesprochen, Kindernachrichten.

Teenager werden allein schon durch ihre eigenen Social Media Accounts informiert, oder sie suchen selbst aktiv nach neusten Berichterstattungen. Thematisieren Sie es aber auch mit älteren Kindern, falls Ihr Kind es möchte. Schauen Sie zum Beispiel gemeinsam die Tagesschau und besprechen das Gesehene.

Wie nehmen Kinder solche Kriegs-Situationen wahr?

Das ist von Kind zu Kind sehr unterschiedlich. Für die einen ist es weit weg, für andere nah und bedrückend. Die einen malen sich ein beängstigendes Szenario aus, die anderen finden es vielleicht interessant und wollen mehr darüber erfahren. Andere bekommen es gar nicht wirklich mit. Im Familienalltag kommt es wahrscheinlich zwangsläufig dazu, das man der Kriegsgefahr oder der Thematik ausgesetzt ist, zum Beispiel über Nachrichten etc.. Schauen Sie aktiv als Eltern hin, beobachten Sie Ihr Kind auf eine Verhaltensveränderung hin, auch beim Spielverhalten. Manche Kinder verarbeiten die Situation übers „Krieg spielen“, dann lohnt es sich nachzufragen wie es darauf kommt.

Beobachten Sie und fragen Sie sich: Was bedrückt Ihr Kind? Welche Informationen sind jetzt hilfreich und führen nicht zu einer weiteren Besorgnis? Auch hier ist es wichtig auf Fragen ehrlich zu antworten bzw. gemeinsam nach Antworten zu suchen. Wenn jedoch keine Fragen aufkommen, würde ich auch aktuell nicht darauf eingehen.

Wie erklärt man Kindern überhaupt was Krieg ist?

Altersgerecht und in einfachen Worten. Zum Beispiel: die Menschen auf der Welt sind sich nicht immer einig. Und manchmal sind diese Meinungsverschiedenheiten so massiv, dass Worte und Gespräche nicht mehr helfen. Zumindest denken das dann die Leute, die Miteinander nicht mehr sprechen wollen. Wenn es dann dabei um Länder geht, die sich nicht mehr einigen wollen, nehmen sie Waffen und daraus entsteht Krieg. Meist kämpfen Soldaten und Soldatinnen gegeneinander. Das Ziel ist, dem jeweils anderen Land (etwas) wegzunehmen. Manchmal sind auch Familien betroffen, sie müssen sich dann verstecken und verlieren ihr Zuhause. Es wird viel zerstört. Es kann verletzte Menschen geben und es werden Menschen getötet.

Warum machen diese mächtigen Anführer sowas? Sie wollen mehr Macht oder Einfluss, oft auch aus strategischen oder politischen Gründen.

Viele weitere Fragen und Antworten zum Thema finden sich zum Beispiel auch auf der Internetseite: www.frieden-fragen.de

Was ist wenn Kinder falsche Schlüsse ziehen und die Kriegsgefahr unmittelbar auf ihr eigenes Umfeld beziehen?

Gefühle und Erlebnisse können einen mitreißen. Sie „ploppen“ einfach auf, weil bereits ein Erlebnis dieser Art verankert ist, die Kinder in ihrer Fantasie die Gefahr noch nicht abgrenzen können oder in den sozialen Medien wild spekuliert wird. Lassen Sie Sich nicht selbst durch eigenes Mutmaßen und Spekulieren verunsichern.

Es lohnt sich, die aktuelle Situation auf der Erwachsenenebene „nüchtern“ und „sachlich“ zu beobachten. Das hilft dann auch dem Kind. In solchen Situationen gibt es keine klugen Antworten. Kein Richtig oder Falsch. In die Zukunft blicken könnte für Unruhe sorgen. Vielmehr könnte man thematisieren, dass der letzte Krieg innerhalb unseres Umkreises schon sehr lange her ist und das es sehr unwahrscheinlich ist, dass auch wir hier angegriffen werden.

Wie können Eltern auf die kindlichen Ängste reagieren, wenn sie selbst verunsichert sind?

Etwas vor Kindern zu verheimlichen oder etwas schön zu reden ist keine gute Idee. Wie bereits erwähnt, haben Kinder feine Antennen und bekommen dies mit. Die Unruhe der Erwachsenen überträgt sich auf das Kind. Aber auch Eltern können nicht auf alle Fragen eine Antwort haben, das dürfen Sie auch zugeben. Dabei hilft die gemeinsame Suche nach Antworten, so erleben die Kinder auch ihre Eltern in einer ermächtigten Situation: wir können selbst nach Informationen suchen und diese bewerten, um dann beruhigter zu sein.

Sollten Sie als Eltern jedoch starke Ängste und Panik verspüren, teilen Sie sich lieber einem anderen Erwachsenen mit oder holen sich selbst Unterstützung in Form von Beratung.

Falls Kinder nicht von selbst fragen, sollten wir das Thema von uns aus ansprechen?

Wenn Kinder fragen, sollten sie auch immer eine Antwort erhalten. Seien Sie aufmerksam welche Fragen aufkommen. Es ist nicht immer gesagt, dass alle Kinder den gleichen „Input“ benötigen.

Wenn sie selbst das Bedürfnis haben, es anzusprechen, dann tun sie das auch. Vermeidung ist keine gute Strategie. Das Thema wird wahrscheinlich sowieso aufkommen. Denken Sie aber auch hier wieder daran: Welches Ziel möchte ich damit bei meinem Kind erreichen? Und dosieren Sie das Thema entsprechend altersspezifisch und sachlich.

Wichtig wäre, darauf zu achten, dass solche Gespräche nicht unbedingt vor dem zu Bett gehen stattfinden. Lieber nachmittags, dann können Sie selbst und auch das Kind noch etwas runter fahren und nehmen die negativen Gefühle nicht mit in die Nacht.

All diese Fragen betreffen nicht nur die aktuelle Situation in der Ukraine, sondern generell all die schrecklichen Nachrichten unserer Zeit (Gewalttaten, Amokläufe, Naturkatastrophen, diverse andere Kriege) - als Eltern ist das Wissen schwer zu ertragen, dass die Kinder irgendwann in ihrem Leben sehr wahrscheinlich diesen Themen ausgesetzt sein werden. Hast Du einen Rat?

Eine Frage, die nicht so leicht zu beantworten ist. Solche Nachrichten erzeugen bei uns allen ein Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmacht. Geben Sie Sich und Ihrer Familie den Raum für solche Situationen – auch unangenehme Themen gehören zum Leben dazu, die dadurch ausgelösten „negativen“ Gefühle sind ok und dürfen zugelassen werden. Aufklärung gibt dann Halt und Sicherheit. Verpacken Sie die Themen immer kindgerecht, seien Sie aufmerksam und hören Sie ihrem Kind zu.

Was können die Eltern konkret für sich tun? Wie können Sie die Kinder vorbereiten?

Eine Art Vorbereitung gibt es für mich nur im Bereich der Resilienz. Zu lernen: Wie sorge ich gut für mich und für meine Familie in Krisensituationen. Hier hilft trotz der schrecklichen Ereignisse der Optimismus und die Lösungsorientierung. Positive Gedanken bewirken Wunder. Das heißt nicht gleich sich die Dinge einfach schön zu reden. Es geht viel mehr darum, für sich selbst nach Lösungen zu suchen, die Ihnen und Ihrer Familie in der jetzigen Situation weiter helfen. Die Frage sollte vor allem in Bezug auf Kinder nicht (vorrangig) sein „Was können wir gegen den Krieg tun?“, sondern „Wie können wir gut für uns sorgen, trotz des nahen Krieges?“

Ich habe weiter oben die Ohnmacht angesprochen, die lässt sich mindern, wenn wir ins Handeln kommen und uns nicht passiv dieser Hilflosigkeit aussetzen. Nicht umsonst haben zahlreiche Erwachsene Ihre Profil- und Statusbilder gestern angepasst – es vermittelt das Gefühl, etwas getan und Stellung bezogen zu haben.
Dies geht auch mit Kindern: vielleicht basteln oder malen Sie mit der Familie eine Art Friedensbild für die betroffenen Menschen, stellen eine Kerze auf, formulieren gemeinsame Wünsche oder Gebete und schreiben diese auf. Mit älteren Kindern können auch Mahnwachen, Gedenkgottesdienste oder Friedens Demonstrationen besucht werden – so haben die Kinder das Gefühl nicht allein zu sein und etwas tun zu können.

 

Das Gespräch führten Tanja Hurtmann & Cornelia Schubert 

 

Kindernachrichten und weiterführende Webseiten:

https://www.zdf.de/kinder/logo

https://www.frieden-fragen.de/

https://kinder.wdr.de/tv/neuneinhalb/index.html

https://kinder.wdr.de/radio/kiraka/index.html

 

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